Friedhof Rosenhügel
Wo das Herz des Schalker Kreisels ruht
Das Jahr 1990 beginnt mit einer Hiobsbotschaft: Der größte Schalker aller Zeiten ist tot. Am Neujahrstag tut Ernst Kuzorras Herz nach 84 Jahren seinen letzten Schlag. Auf seinem letzten Weg begleiten über 1.000 Menschen ihren Helden zum Friedhof Rosenhügel. Die Schalker Vereinsfamilie bestattet ihn nur wenige Meter vom Grab eines alten Weggefährten. Sein lebenslanger Freund Fritz Szepan wurde bereits 1974 hier beerdigt. Nun liegen sie keine zwei Kilometer von der Grenzstraße entfernt, der südlichen Grenze des Schalker Kosmos. Unterhalb des Friedhofs erstreckt sich ein Gewirr aus Straßen, Zechen, Hochöfen, Wohnhäusern und Schienen: ihr Schalke. Als Kinder kickten sie scheppernde Dosen durch die Straßen. Als junge Männer holten sie Pokale und Trophäen an den Schalker Markt. Drei Jahrzehnte gingen sie gemeinsam für Königsblau auf Torejagd. 1950 verabschiedeten sie sich mit einem Spiel in der Kampfbahn Glückauf von den Zuschauern. Auch nach ihrer Karriere blieben sie Schalke treu und lebten weiter bei ihren Familien und ihren Freunden im Stadtteil. “Schalke, wir leben dich”, haben sie nie gesagt, sie taten es einfach. Und auch im Tod bleiben sie ein Teil von Schalke.
Dass die beiden Helden mehr oder weniger am Rand des Schalker Kosmos beerdigt wurden, hat einen einfachen Grund: Die Industrialisierung ließ den Toten keinen Platz. Die Zechen kauften so viel freies Land auf wie möglich. Die freien Flächen waren als Reserven eingeplant. Falls die Betriebe weiter wuchsen, konnten hier neue Wohnhäuser für neue Arbeiter entstehen. Denn die Lebenden brauchten ein Dach über dem Kopf. Teilweise gehörte die Hälfte der freien Flächen in Schalke der Industrie. Darum wählte die evangelische Gemeinde 1880 den Rosenhügel in der Nähe von Emscher und der späteren Sutumer Brücke als ihren Friedhof. Bis zur Friedenskirche am Schalker Markt waren es von hier anderthalb Kilometer. Aber das Industriedorf Schalke hörte nicht auf zu wachsen. In den 1920er- und 1930er-Jahren entstand die Arbeitersiedlung Rosenhügel um den Friedhof herum.
Wer heute den Friedhof Rosenhügel aufsucht, wird feststellen, dass viele Grabfelder leer sind. Sie zeigen eindrücklich, dass die Zeit des Booms und des Bevölkerungswachstums (erst mal) vorbei ist. Die freien Grabstellen spiegeln die mit der Bergbaukrise einsetzende Stadtflucht wider. Seit sich das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus am Horizont abzeichnete, haben immer mehr Menschen Schalke und das Ruhrgebiet verlassen. Aber die leeren Grabfelder verweisen auch auf eine zweite Entwicklung: Ab den 1960er-Jahren kamen neue Bevölkerungsgruppen ins Ruhrgebiet. Sie brachten aus ihrer Heimat den islamischen Glauben mit. Das religiöse Leben in Schalke ist vielfältiger geworden.