Kaiserstraße

Schalke für die Rich Kids

Viel Geld haben die Bergarbeiter und ihre Familien nicht. Entsprechend bescheiden wohnen sie. In der Kaiserstraße hingegen leben die betuchten Schalker mit Geld. Wo sich heute zwischen Kennedyplatz und Schalker Markt der dichte Verkehr über die vierspurige Kurt-Schumacher-Straße schiebt, befindet sich zu Kuzorras Zeiten Schalkes erste Adresse, der Sunset Boulevard an der Emscher.

In Schalke wird es immer enger. Jedes Jahr kommen neue Menschen hier an. Sie suchen nach Arbeit und einem besseren Leben (hier zur Story). Aber der Bau von Wohnraum kommt nicht hinterher. Die Verwaltung sieht die Unternehmer in der Verantwortung. Sie haben die vielen Menschen schließlich hierher geholt. Also sind sie auch für deren Unterbringung verantwortlich. Zwar werden immer mal wieder Werkssiedlungen wie die Arbeitersiedlung Rosenhügel aus dem Boden gestampft, aber das reicht nicht aus. Zu viele Menschen zwängen sich in zu kleine Wohnungen. Ganze Familien teilen sich ein einziges Zimmer. Wenn sie durch die Kaiserstraße laufen, gehen ihnen regelmäßig die Augen über: Hier wohnen die Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht in der stickigen Dunkelheit von Zeche Consolidation oder im Lärm der Gutehoffnungshütte verdienen. Hier an der Kaiserstraße wohnt das Bürgertum. In direkter Nachbarschaft befindet sich die Schalker Straße mit ihren Geschäften und Wirtschaften.

Die Kaiserstraße machte ihrem Namen alle Ehre: Hier in den Stadtvillen und herrschaftlichen Häusern lebten die Bergwerksdirektoren, die Ärzte, Kaufleute, Beamten, Landräte und Fabrikanten. Hinter den prächtig verzierten Gründerzeitfassaden lagen riesige Gärten. Zwischen dem Kaiserplatz (dem heutigen Kennedyplatz) und dem Schalker Markt zeigten die Besitzer, welchen Wohlstand und Status ihnen Kohle und Stahl ermöglicht haben. 1870 gebaut, war die Kaiserstraße auch eine wichtige Verbindung zur jungen Stadt Gelsenkirchen. 1876 eröffnete hier die “Höhere Bürgerschule” ihre Türen. Sie ist der Vorläufer des heutigen Schalker Gymnasiums.

Heute ist von den einst prachtvollen Bauten nichts mehr übrig. Beim Bau der Berliner Brücke fielen die meisten Gebäude, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten, dem vierspurigen Straßenausbau zum Opfer. Statt der prächtigen Gründerzeitfassaden prägt seitdem der nüchterne Funktionalismus der 1960er-Jahre das Erscheinungsbild. Die Kaiserstraße bildet den Schalker Wandel auf ähnliche Weise ab, wie das Denkmal am Grilloplatz. 1966 wurde sie in Kurt-Schumacher-Straße umbenannt. Ein Anwohner wollte die neuen Realitäten aber nicht anerkennen und brachte an seiner Hausfassade den Schriftzug “Trotzdem: Kaiserstraße” an. 1974 und 1976 wurde das Bekenntnis zur deutschen Monarchie jeweils Ziel eines Farbattentats. Der Protest blieb erfolglos: Die Straße heißt weiter Kurt-Schumacher-Straße.

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