Schalker Markt
Als der Mythos mehr als ein Lied war
Es ist ein großer Tag in Schalke. Die Mannschaft um Szepan und Kuzorra kehrt heute aus Berlin zurück. Im Gepäck haben sie den Wanderpokal für den Deutschen Meister, die sogenannte "Viktoria". In einem Herzschlag-Finale hatten sie den 1. FC Nürnberg mit 2:1 geschlagen. 30 Jahre nach Vereinsgründung am Haus Goor gewinnen die Schalker den wichtigsten Titel im deutschen Fußball. Der ganze Stadtteil ist auf den Beinen. Tausende Menschen strömen durch die Straßen Richtung Schalker Markt. Sie alle wollen dabei sein, wenn Kuzorra den Pokal in der Kaiserhalle präsentiert. An den Fenstern der Halle hängen riesige Medaillen mit Porträts der Helden. Am anderen Ende liegt die Friedenskirche. Am nördlichen Ende des Platzes steht die Zeche Consolidation mit ihren Schächten 1 und 6. Und im Mittelpunkt ragt das Denkmal für den Schalker Gründer Grillo aus dem Meer von Menschen. Gebannt warten alle auf die Spieler. Als sie ankommen, gibt es kein Halten mehr. Vor den Schloten und Schornsteinen und im Schein der tausend Feuer tanzen die Menschen die ganze Nacht. Der Mythos vom Schalker Markt ist geboren.
Noch fünf Mal werden Szepan und Kuzorra die "Viktoria" an den Schalker Markt bringen. Aber auch abseits der Meisterfeiern war der Markt das pulsierende Herz des Stadtteils. Hier trafen Wohn-, Lebens- und Arbeitswelt unmittelbar aufeinander. Die Kaiserhalle war der Mittelpunkt des FC Schalke 04. In ihr vereinten sich Vereinskneipe, Geschäftsstelle und Klubmuseum: Der Schalker Markt Nr. 10 war der Anlaufpunkt für Funktionäre, Spieler und Fans. Ernst Kuzorra betrieb hier eine Zeit lang seinen Tabakladen und Fritz Szepan ein Textilgeschäft. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Berni Klodt von 1952 bis 1963 hier an den Zapfhähnen. Seine Kneipe “Schalker Kreisel” lag direkt am Markt. Als Kapitän brachte er 1958 zum letzten Mal die Deutsche Meisterschaft hierhin. Ganz wie in der goldenen Zeit bahnte sich der blau-weiße Triumphzug seinen Weg vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof nach Schalke.
Als Berni Klodt begann, Bier auszuschenken, war der Schalker Markt aus der erfolgreichen Zeit von Szepan und Kuzorra nicht wiederzuerkennen. Die meisten der prachtvollen Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerbombt. Ebenso die Friedenskirche, die früher an der Ostseite des Markts stand. Das Grillo-Denkmal wurde zerstört, eine Nachfertigung der Büste des Schalker Gründers zog um an den Grilloplatz. Heute parken am Schalker Markt nur noch abseits und im Schatten der Berliner Brücke ein paar Autos. Nichts deutet auf den viel besungenen “Mythos vom Schalker Markt” hin. Dabei steht seine Wiege genau hier.