Die Geschichte des Ruhrgebiets ist ein Grinsen. Weiß leuchten die Zähne in einem von Kohle und Schmutz geschwärzten Gesicht. So kommen die Männer nach der Schicht aus dem Schacht. Sie holen die Kohlen hoch. Jeden Tag kämpfen sie gegen die Kräfte und Gefahren des Bergs. So prägen sie das Ruhrgebiet und machen die Region zu dem, was sie ist. Sie versorgen eigenhändig ihre Familien und bringen das Essen auf den Tisch. Und sonntags sind sie beim Fußball, entweder als Zuschauer oder als Spieler. Was in dieser Erzählung vom Ruhrgebiet wenig Platz hat, sind die Frauen.
Dabei ist ihr Anteil daran, die Kinder durchzubringen, mindestens genauso groß. Dafür müssen sie aber ihre eigenen Wege finden. Einerseits kratzt es am Ehrgefühl der Männer, wenn ihre Frau arbeiten geht. Die Nachbarn müssen dann denken, dass sie als Mann nicht in der Lage sind, ihre Familie zu ernähren. Aber auch auf den Zechen ist man aus verschiedenen Gründen gegen die Arbeit unter Tage.
Was der Bergbau abwirft, reicht oft hinten und vorne nicht. Aber viele Jobmöglichkeiten gibt es nicht für die Frauen. Wer Glück hat, kann “in Stellung gehen” und in einer Bürgerfamilie im Haushalt mithelfen. Aber auch die Zahl der Ärzte, Lehrer und Zechen-Direktoren ist begrenzt. Geldverdienen ist also bei weitem nicht immer eine Option. Aber Arbeit ist nicht nur Einnahmequelle, mit Arbeit lässt sich auch Geld sparen. Der Lohn der Männer reicht oft nicht, um genug Essen auf den Tisch zu bringen. Die Frauen bauen hinterm Haus oder auf einem freien Stück Land Gemüse an. Und sie halten Tiere. Zuhause flicken sie jede Hose, wenn es sein muss, zum tausendsten Mal. Hauptsache, sie hält noch ein paar Monate, vielleicht Jahre. Oft vermieten sie die Betten der Familie tagsüber an Kostgänger - alleinstehende junge Männer, die sich keine eigene Wohnung leisten können. Die Bergarbeiterfrauen kochen für sie, waschen ihre Kleidung, während die jungen Männer tagsüber im Bett liegen und schlafen. Nachts geht es dann nach unten ins Bergwerk. So sorgten die Frauen bis 1945 für ihre Familien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt eine neue Industrie ins Ruhrgebiet. Viele Textilbetriebe und Unternehmer fliehen aus den östlichen Gebieten des Deutschen Reichs. Die Politiker in Gelsenkirchen wittern eine Chance. Sie bemühen sich regelrecht um die Ansiedlung der Textilindustrie. Sie stellen den Unternehmern günstige Räumlichkeiten zur Verfügung oder helfen bei der Suche nach passenden Grundstücken. Dank des eingeschlagenen “Gelsenkirchener Wegs” entwickelt sich die Stadt in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einer Hochburg der deutschen Bekleidungsindustrie. Mit der Industrie kommen nicht nur Mannequins und Modedesigner in die Stadt. In den Fabriken haben Frauen plötzlich unzählige Möglichkeiten, Anstellungen als Näherinnen oder Büglerinnen zu finden. 1950 arbeiten in den 50 Betrieben rund 5.000 Menschen, der Großteil davon Frauen. Vor allem die Töchter beginnen zu arbeiten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen, bis sie eine eigene gründen.
Das “Gelsenkirchener System” funktioniert: Durch die Ansiedlung der ostdeutschen Textilindustrie steht die Wirtschaft der Stadt auf einer weiteren Säule: Neben Kohle, Stahl, Chemie und Glas gehört jetzt auch Bekleidung dazu. Die Stadt entwickelt sich zu einem kleinen Paris an der Emscher. Kein Monat vergeht ohne Modenschau. Auf dem Laufsteg präsentieren die Models die neuen Looks. Während sie mit geradem Rücken die Kleider präsentieren, beugen sich die anderen in den engen, dunklen und stickigen Fabriken auf alten, unbequemen Stühlen über die Nähmaschinen. Acht Stunden lang, sechs Tage die Woche. Wenn die Frauen die Bekleidungsindustrie verlassen, leiden sie an Bandscheibenschäden oder dem Halswirbelsäulensyndrom. Anfang der 1970er-Jahre beginnt der Niedergang der Gelsenkirchener Textilindustrie. Die Konkurrenz durch günstige Produkte aus der ganzen Welt ist zu groß. Insgesamt 7.400 Menschen, der Großteil Frauen, fürchten in Gelsenkirchen um ihren Arbeitsplatz.
Die drohende Schließung des Betriebs wird zum ständigen Hintergrundrauschen für die Näherinnen. Die Bekleidungsfirmen setzen die Werksschließung oft als Druckmittel ein. Als Gegenreaktion engagieren sich immer mehr Frauen in den Betriebsräten. Aber aufhalten können sie die Entwicklungen nicht: Am Ende verliert die große Mehrheit ihre Anstellung in der Textilindustrie. Aber auch erfolgreiche Arbeitskämpfe führen die Frauen in Gelsenkirchen, etwa die Heinze-Frauen. Zufällig entdecken sie, dass ihre männlichen Kollegen im Heinze-Fotolabor mehr verdienen - bei gleicher Arbeit. 29 der angestellten Frauen ziehen vor das Arbeitsgericht und fordern den gleichen Lohn. Ihr Kampf um Gleichstellung wird von einer Welle der landesweiten Solidarität getragen. 1981 entscheidet das Gericht für sie und spricht ihnen 100.000 Mark an Nachzahlungen zu. Doch das Unternehmen Heinze muss 1983 Konkurs anmelden. Die 100.000 Mark werden nur zum Teil ausgezahlt. Trotzdem ist der Sieg der Heinze-Frauen wegweisend für die Gleichberechtigung.
Auch auf anderem Feld kämpfen Frauen seit dem Zweiten Weltkrieg für Gleichberechtigung: auf dem Fußballfeld. Denn ein mächtiger Gegner stellt sich ihnen in den Weg. Der Deutsche Fußballbund (DFB) will kickende Frauen um jeden Preis verhindern. Zu groß sei der Schaden für die weibliche Anmut und die Sittlichkeit. 1955 wird ein Verbot erlassen: Frauenvereine werden nicht gestattet. Einige Frauen beeindruckt das aber nicht weiter. Sie gründen trotzdem ihre eigenen Vereine außerhalb des Verbands und organisieren ihre Spiele selbst. Es dauert einige Jahre, aber dann sieht der DFB ein: Er kann die Frauen nicht vom Spielen abhalten. 1970 hebt er das Verbot auf. Trotzdem setzt der DFB andere Regeln ein als bei den Männern. Die Damen dürfen nur zwei Halbzeiten von jeweils 30 Minuten spielen. Das Tragen von Stollenschuhen ist ihnen wegen der hohen Verletzungsgefahr verboten. Und ihr Ball ist ein wenig kleiner als die Bälle bei den Herren. Zum Teil hallen hier noch die Argumente gegen Frauenfußball aus den 1950er-Jahren nach.
Schon bevor der DFB das Verbot aufhebt, gründen Gelsenkirchener Vereine Damenmannschaften. Der VfL Resser Mark 08 eröffnet etwa 1969 eine Damenmannschaft. Am 6. September 1970 laufen zum ersten Mal zwei Frauenmannschaften in der Kampfbahn Glückauf ein. Die Frauen der Spielvereinigung Resser-Mark aus Gelsenkirchen treffen auf eine Auswahl des Vester Recklinghausen. Die Begegnung ist das Vorspiel zum Bundesligaspiel zwischen Schalke und Hertha BSC Berlin. Im Gegensatz zu den Männern begeistern die Frauen an diesem Nachmittag. Ein Jahr später gründet auch die Eintracht Erle 1928 ihre eigene Damenmannschaft. Als der DFB 1974 die erste Deutsche Fußballmeisterschaft für Frauen austrägt, schießen sich die Erler Frauen bis ins Finale. Doch das Endspiel in Mainz dominieren die Gegnerinnen vom TuS Wörrstadt. Vor 4.000 Zuschauern schenken sie ihren Rivalinnen aus Gelsenkirchen vier Tore ein. Trotz der Niederlage haben sich die Damen von Eintracht Erle einen Namen gemacht. Auch auf der Geschäftsstelle des FC Schalke 04 bleibt ihr Erfolg nicht unbemerkt…
Dem Schalker Präsidenten Günter Siebert gefällt die Vorstellung: Eine Frauenmannschaft im königsblauen Dress, die um die Deutsche Meisterschaft mitspielt. Um ein Team aufzubauen, fehlt aber die Zeit. Also macht Siebert der Eintracht Erle ein Angebot: Schalke übernimmt beide Frauenmannschaften, dafür spielen die Schalker Herren ein Freundschaftsspiel gegen die Eintracht. Die Zuschauereinnahmen bleiben in Erle. Die Eintracht nimmt an: Der Verein ist knapp bei Kasse. Wenige Wochen später laufen die Spielerinnen in der Bezirksklasse für ihren neuen Verein in königsblauen Trikots auf. Anders als die Herren können sie vom Spielen alleine nicht leben. Hauptberuflich sind sie Krankenschwestern, sitzen im Supermarkt an der Kasse oder arbeiten bei der Stadt. Aber Fußball ist ihre Leidenschaft, auch wenn mancher sie belächelt: Jedes Wochenende schnüren sie ihre Schuhe und streifen das königsblaue Trikot über - gegen alle Widerstände. Aber dann beginnen die 1980er-Jahre, und die Schalker Herren kommen sportlich ins Straucheln. Das Geld wird knapp. 1987 löst Günter Siebert die Damenabteilung wieder auf. Es dauert 33 Jahre, bis wieder eine Frauenmannschaft im Schalker Trikot aufläuft.
Quellen: FC Schalke 04, Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen, Montanhistorisches Dokumentationszentrum (montan.dok) beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum