Schalker Schatten

Schalke feierte seine goldenen Jahre von 1933 bis 1942. Insgesamt sieben Titel holte der Schalker Kreisel an den Schalker Markt. Die erfolgreichsten Jahre des FC Schalke 04 fallen zusammen mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. War es Zufall, oder stellten sich die Knappen in den Dienst eines unmenschlichen Systems?

Heimspieltag. Zehntausende Menschen in Blau und Weiß fluten die Wege rund um die Arena. Von den Parkplätzen und Bahnstationen strömen sie auf den Tempel aus Glas und Beton zu. Ihr Weg führt sie über Straßen, die den wichtigsten Spielern des Vereins gewidmet sind. Die Straßennamen erinnern an die Menschen, die den Verein zu dem gemacht haben, was er heute ist. Stan Libuda, Ernst Kalwitzki und Ernst Kuzorra sind hier zu finden. Ein Name allerdings fehlt: Fritz Szepan. Der Grund dafür liegt aber nicht auf dem Platz. Szepan gehört zweifelsohne zu den größten Fußballern, die jemals das königsblaue Trikot getragen haben. Er war der Taktgeber und Regisseur des Schalker Kreisels und hat genauso zum Mythos S04 beigetragen. Der Grund liegt abseits des Platzes: Fritz Szepan war im Dritten Reich stärker mit dem Nationalsozialismus verstrickt als die anderen Spieler des Schalker Kreisels.


Als 1933 die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) unter Adolf Hitler an die Macht kam, passte sich der FC Schalke 04 den neuen Bedingungen an. Als Teil dieser Anpassung wurden zum Beispiel die jüdischen Mitglieder vom Verein ausgeschlossen. Schalke unterschied sich damit nicht von den meisten anderen Vereinen. Was die Königsblauen von den anderen Vereinen unterschied, war ihre sportliche Überlegenheit. Zwischen 1934 und 1942 holten sie sechsmal die Deutsche Meisterschaft. Die (bisher) erfolgreichsten Schalker Jahre lagen also in der Nazi-Zeit. Deshalb denken noch heute manche Menschen, dass Schalke ein Nazi-Verein gewesen sein muss, dessen Erfolge durch die Nähe zum Regime erkauft wurde. Verschiedene Studien haben diese Behauptung inzwischen widerlegt. Unter den Knappen gab es keine glühenden Anhänger des Nationalsozialismus. Und der sportliche Erfolg ist auf ihre überlegene Spielweise zurückzuführen, die sie seit Mitte der 1920er-Jahre pflegten und verbesserten. Schon in den Jahren vor der Machtübernahme kündigte sich der sportliche Durchbruch der Schalker an.

Vorteile für beide Seiten

Was sich aber nicht leugnen lässt: Die Nationalsozialisten spannten die Knappen wegen ihres Erfolgs und ihrer Beliebtheit für die eigenen politischen Zwecke ein. Zu gut passte der Arbeiterverein aus der Industrieregion in die nationalsozialistische Erzählung der Volksgemeinschaft, in der sich jeder einzelne in den Dienst der Gemeinschaft stellt. Parteimitglieder sonnten sich gerne im Glanz der Schalker Helden. Bürgermeister, Gauleiter und selbst Adolf Hitler ließen sich mit der Schalker Meistermannschaft fotografieren. Die Spieler wehrten sich nicht. Denn so waren ihnen viele Einladungen zu Turnieren und Freundschaftsspielen sicher. Und jedes Spiel bedeutete für die Spieler bares Geld direkt auf die Hand. Sich mit Parteigrößen fotografieren zu lassen, hatte also Vorteile.


Neben Hans Bornemann gehörten aus dem Schalker Kader nur Fritz Szepan und Ernst Kuzorra der NSDAP an. Szepan und Kuzorra traten 1937 der Partei bei. Ihr später Beitritt legt die Vermutung nahe, dass sie es nicht aus politischer Überzeugung taten. Vermutlich konnten sich die beiden prominentesten Schalker durch den Beitritt einige Vorteile sichern. Zu dieser Annahme kommen die beiden Historiker Stefan Goch und Norbert Silberbach in ihrer Untersuchung "Zwischen Blau und Weiß liegt Grau”. Aber warum sind heute eine Straße und ein Platz nach Ernst Kuzorra benannt, während Fritz Szepans Name nirgendwo zu finden ist? Im Gegensatz zu Kuzorra ließ sich Fritz Szepan sehr viel stärker für die politischen Zwecke des Regimes einbinden. Als Kapitän der Nationalmannschaft vertrat er es im Ausland. Vor mehreren Wahlen machte er Werbung für Adolf Hitler und stellte damit seine Berühmtheit in den Dienst der NSDAP.

Szepan und das Textilgeschäft Julius Rode

Aber der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Schalker Legenden: Szepan profitierte im Dritten Reich von der Entrechtung und Unterdrückung seiner jüdischen Mitbürger. 1938 erwarb er das Textilgeschäft Julius Rode & Co. am Schalker Markt. Szepan kaufte es den jüdischen Vorbesitzern Sally Meyer und Julie Lichtmann für 7.000 Reichsmark ab. Das Geschäft war tatsächlich sehr viel mehr wert. Der Preis war so niedrig, weil Meyer und Lichtmann wegen ihrer jüdischen Abstammung massiv unter Druck gesetzt wurden. Was nach außen wie ein Kaufgeschäft aussah, war eigentlich eine Enteignung. Dass Szepan das nicht wusste, gilt als unwahrscheinlich. Zu diesem Schluss kommen die Historiker Stefan Goch und Norbert Silberbach in ihrer Studie "Zwischen Blau und Weiß liegt Grau". Während für Fritz Szepan und seine Frau Elise ein neues Leben als Geschäftsinhaber beginnt, wird das alte Leben von Sally Meyer und Julie Lichtmann dagegen Stück für Stück weiter zerstört. Beide wurden 1942 nach Riga deportiert und bald nach ihrer Ankunft ermordet.


Szepan profitierte anders als die anderen Spieler vom politischen System des Nationalsozialismus. Seine Vergangenheit rückte aber erst mit dem Bau der Arena wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. 2001 gab der FC Schalke 04 bekannt, eine Straße an der Arena nach Szepan benennen zu wollen. Kritische Stimmen im Rat der Stadt verwiesen dabei auf die Übernahme des Textilgeschäfts am Schalker Markt. Um Klarheit zu schaffen, gab der FC Schalke 04 eine Studie in Auftrag. Als erster Bundesliga-Verein ließ er seine Geschichte im Dritten Reich von Historikern untersuchen. Die Ergebnisse sind wie bereits erwähnt unter dem Titel “Zwischen Blau und Weiß liegt Grau” veröffentlicht worden. Nach dem Szepans Rolle aufgearbeitet wurde, sah der Verein von einer Straßenbenennung ab.


Bildquellen: Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen

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